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Ein unfairer Vergleich – Amüsement mit der Sony Alpha 7R

Vor wenigen Wochen, hatte ich die Sony Alpha 7R IV für einige Tage zum Testen unter meinen Fingern. Dazu hatte ich das Sony 85 mm 1.8 und das 35 mm 1.8. Eine durchaus attraktive Kombination, die ich beruflich öfter nutzen werde dürfen. Meine Bedürfnisse im Beruf (möglichst hochauflösende Bilder von Oberflächen zu machen, um feinste Risse zu erkennen) und meine privaten Vorlieben (den Prozess des Fotografierens in den Vordergrund rücken) unterscheiden sich aber ziemlich stark. Trotzdem wollte ich die Kamera testen und mich in die Zeit zurückversetzen, in der ich mit einer Spiegelreflex-Kamera und jeder Menge technischem Schnick-Schnack fotografisch tätig war. Damals mit Canon, jetzt eben mit Sony – los geht es!

Hui, die ist aber groß und schwer und das noch ohne Objektiv!

Lasst uns zunächst ganz ganz weit oben beginnen und die äußere Hülle betrachten und mit meiner Leica M (die inzwischen fast 10 Jahre auf dem Buckel hat!) vergleichen. Eine neue Kamera auszupacken ist ja immer ein unglaublich schönes Erlebnis – Karton auf, Kamera raus: Hui, die ist aber groß und schwer und das noch ohne Objektiv!

Mit Objektiv wird das ganze zu einem ganz schönen Brocken. Der Vergleich mit der Leica M mag unfair sein, hat die Leica doch nur ein 50er dran und die Sony ein 85er. Der Gang zur Waage war übrigens spannend: beide wiegen exakt 1,0 kg. Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Macht da etwa jemand auf große Hose?

Ok, Gewicht und Größe sowieso, mögen überbewertet sein. Hilft also nur noch „Betatschen“! Alles was ich an der Leica mag vermisse ich an der Sony! Soviel Plastik, so viele Knöpfe und dann liegt sie (die Sony!), trotz ergonomischem Griff, so schlecht in der Hand. Ich vermisse eine Stütze an meiner Handfläche und den Abstand zwischen den Fingern und dem Objektiv finde ich viel zu klein. Oft wird die Leica M als nicht ergonomisch kritisiert (sie hat ja eher die Form eines Ziegelsteins!), trotzdem liegt sie mir besser in den Händen. Nach fast 10 Jahren Nutzung kann dies aber auch einfach Gewohnheit sein und man sollte der Sony hier nicht unrecht tun und sie als unergonomisch bezeichnen.

11 vs. 17 Knöpfe und Drehräder – Wer hat gewonnen?

Was mich schon sehr viel mehr stört, sind die ganzen Knöpfe. Wie wird heute ein Foto beeinflusst? Nicht anders als auch vor 100 Jahren: Belichtungszeit, Blende und Empfindlichkeit des Films/Chips. Neben dem eigentlichen Auslöser würden also 3 Knöpfe reichen, möchte man jede Funktion tatsächlich einzeln belegen. Meine Leica M hat in Summe 11 Knöpfe (inkl. Auslöser und Drehrad für die Belichtungszeit). Die neue Leica M10 hat noch einmal deutlich weniger (ich denke um die 7 Knöpfe in Summe). Die Sony kommt auf sage und schreibe 18 Knöpfe und Drehräder, die oft sogar mehrfach belegt sind. Ich habe die starke Vermutung, dass man mit der Alpha 7R auch zum Mond fliegen kann!

Was ich aber richtig toll finde, ist das klappbare Display. Das erleichtert vor allem die Bildkomposition, wenn man sehr bodennahe arbeitet und ein Blick durch den Sucher nicht mehr gelingen mag. Bei meiner M verrenke ich mir hier regelmäßig den Nacken.

Kommen wir zum Wichtigsten: dem Sucher. Die Leica M ist eine klassische Messsucherkamera – man Blickt also nicht durch das Objektiv, sondern durch einen eigenen Sucher. Dies hat Vor- aber auch ein paar Nachteile. Der Vorteil ist sicher der ungestörte und direkte Blick auf die Szene. Zudem trüben ND-Filter nicht die Sicht. Viele Fotografen bezeichnen eine Messsucherkamera oft als die reinste Form Fotografie zu betreiben. Die Sony ist eine klassische spiegellose Kamera mit elektronischem Sucher. Man blickt also mit Hilfe des Live-Bildes, welches vom Bild-Chip geliefert wird, durch das Objektiv auf die Szene. Vorteil dabei ist, dass man eben keinen Spiegel benötigt, wie früher bei den Spiegelreflexkameras und Bildänderungen können direkt im Live-Bild gezeigt bzw. eingeblendet werden. Der Sucher der Sony hat über 5 Mio. Bildpunkte und ist hervorragend – da sind absolut keine Pixel mehr zu erkennen, das Bild läuft flüssig. Perfekt gemacht Sony! Was mich etwas stört, ist die Farbsättigung des Sucherbildes. Hier würde ich mir wünschen, dass man aktiv eingreifen kann und das Sucherbild einfach beeinflussen kann. An das Zucken des Live-Bildes beim Eingreifen des Bildstabilisators musste ich mich erst gewöhnen – schön ist das nicht, liegt aber in der Natur dieser Technik. Ohne jeden Zweifel könnte ich mich an einen elektronischen Sucher gewöhnen, genieße aber, solange meine Augen das noch mitmachen, den klaren und direkten Blick durch den Messsucher meiner Leica M.

Was die Leica nicht hat, ist ein Autofokus. Und hier trumpft die Sony richtig auf: 567 Phasenerkennung-AF-Punkte mit 74% Bildabdeckung. Durchaus beeindruckend! Funktioniert das gut? Meist ja! Hat man es mit bewegten Objekten zu tun, so findet der Fokus eigentlich fast immer sicher die richtigen Teile der Szene und verfolgt diese auch zuverlässig. Bei statischen Szenen mit einem dominierenden Objekt im Vordergrund und viel Hintergrund fokussiert die Kamera fast immer auf den Hintergrund. Abhilfe schafft die Wahl des „Spotmodus“, sodass die AF-Punkte auf das Zentrum konzentriert werden. Das ist nicht schlimm, aber hätte ich mir besser erwartet. Bei statischen Szenen war ich daher beim Fokussieren mit der Leica M deutlich schneller als mit der Sony, bei dynamischen Szenen hatte ich mit der Leica natürlich keine Chance.

Die Leica M funktioniert denkbar einfach. Die Sony hält sich am Bedienkonzept der anderen Hersteller.

Kommen wir noch einmal zur Bedienung. Die Leica M funktioniert denkbar einfach: Wahl der Blende über den Blendenring am Objektiv, Wahl der Belichtungszeit über das entsprechende Drehrad, Ausschnitt wählen, abdrücken. Ich arbeite etwas anders, da ich meine M immer in der Belichtungsautomatik betreibe. Das heißt, dass ich die Blende manuell wähle, die Kamera die geeignete Belichtungszeit automatisch wählt und ich dann über das Daumenrad eine Belichtungskorrektur anbringe, um auf die Lichtsituation reagieren zu können. Dies ermöglicht mir maximale Geschwindigkeit bei maximaler Flexibilität. Diesen Modus bietet auch die Sony, nur wird die Blende leider nicht am Objektiv gewählt, sondern über ein Daumenrad, welches zudem sehr ungeschickt platziert ist (an der Oberseite der Kamera). Ich muss also sowohl Blende, als auch Belichtungskorrektur mit der rechten Hand wählen, die linke bleibt arbeitslos (für das Stützen der Kamera findet sie natürlich Verwendung). So richtig gut funktioniert das für mich nicht – leider! Aus meiner Sicht hält sich Sony hier am Bedienkonzept der meisten Hersteller. Warum man die linke Hand aber so konsequent ausschließt ist mir unklar. Ein Drehrad auf der linken Seite der Kamera, in direkter Griffweite der linken Hand (u. a. für die Wahl der Blende) wäre großartig und würde deutlich mehr Flexibilität erlauben.

Und wie sieht es mit der Bildqualität aus? Und jetzt wird es richtig unfair. Die Leica M hat 24 MP, die Sony 61 MP. Hmmm…lässt sich das überhaupt vergleichen. Ich denke schon. Konzentrieren wir uns also nicht auf Detailschärfe und Auflösung, sondern auf die Dinge, die ein Bild wirklich ausmachen: Charakteristik (was auch immer das sein mag!) und Bokeh. Und los geht es!

61 MP – das ist eine Menge Holz!

Zunächst muss man sich klar machen, dass 61 MP bedeuten, dass am Ende pro Bild im Raw-Format120 MB auf der Platte landen – das ist eine Menge Holz. Speicher ist zwar billig, trotzdem braucht es einen leistungsfähigen Rechner, um die Bilder flüssig zu bearbeiten.

Ich habe über ein ganzes Wochenende eine ganze Reihe von Bildern mit der Sony gemacht und auch ein paar direkte Vergleichsaufnahmen mit der Leica M (Typ 240). Hier nun ein paar Bilder für euch, um die Kamera beurteilen zu können. Wie bereits oben angedeutet, haben die Bilder und der Bericht keinen Anspruch auf Vollständigkeit – dies sind meine eigenen, sehr subjektiven Wahrnehmungen.

Beginnen wir mit einem Bild bei leichtem Gegenlicht. Die erste Aufnahme zeigt das Bild direkt aus der Kamera, das zweite Bild mit einer leichten Anhebung der dunklen Bereiche durch die Bildbearbeitung. Natürlich bietet die Aufnahme genug Dynamik, um sehr flexibel solche Bearbeitungen zu machen. Aber auch die Originalaufnahme bietet bereits eine gut ausgewogene Belichtung – auch wenn ich mir hier durch die Gesichtserkennung und das Augentracking erwartet hätte, dass stärker auf das Gesicht belichtet worden wäre (ich will nicht ausschließen, dass es irgendwo in den Tiefen der Menüstruktur eine Einstellung gibt, um dies entsprechend zu adressieren).

Und dann noch einen Blick auf ein paar Details. Das folgende Bild wurde auf meinem Schreibtisch aufgenommen. Verwendet wurde das 85er bei f/1.8. Zunächst einmal beeindruckt mich sehr das Bokeh dieses Objektives – richtig schön verwaschen und sahnig! Dann habe ich unten einen kleinen Ausschnitt des Bildes herausgezogen, um noch einmal das Potential der 61 MP zu zeigen. Ist schon echt krass!

Und dann sehen wir uns mal einen direkten Vergleich zwischen Leica und Sony an. Ich habe auf beide Kameras ein 35er geschnallt. Bei der Sony ist es das FE35 mm F1.8, bei der Leica das Summicron-M 35 mm ASPH. Beide Kameras habe ich auf f/2.0 gestellt. Die Bilder sollen keinen künstlerischen Anspruch erheben, sondern einfach nur die gleiche Szene abbilden. Ich habe daher jeweils ein Objekt im Vordergrund platziert, um vor allem das Bokeh beurteilen zu können. Die Bilder wurden nicht bearbeitet und einfach nur auf 2.500 Pixel Seitenlänge runtergerechnet.

Sony
Leica
Sony
Leica
Sony
Leica

Was zunächst mal auffällt ist, dass die Leica M offensichtlich etwas konservativer beim Thema Belichtung agiert und eher unter als überbelichtet. Die Sony trifft hier besser gleich den richtigen Wert. Beim Thema Bokeh der 35er (hier ist ja das Objektiv das entscheidende Element) nehmen sich die beiden Systeme relativ wenig und die Unterschiede sind marginal. Speziell im letzten Bildpaar ist aber zu erkennen, dass die Leica-Kombination deutlich plastischer abbildet. Das Objektiv scheint förmlich aus dem Bild herauszuspringen, wohingegen das Bild der Sony eher „flach“ wirkt. Interessant auch, dass der Kontrastumfang des Leica-Bildes im Bereich des Tisches (raue Holzoberfläche) viel höher zu sein scheint, bzw. auch das Holz sehr viel plastischer wirkt. Bei allen Bildern fällt auf, dass das Bokeh der Leica etwas geschmeidiger ist – die Unruhe bei strukturierten Flächen, was mich beim Summicron manchmal so stört, wirkt sich gegenüber der Sony-Kombination nicht störend aus. Ich denke, dass sich ein 35er Summilux oder das neue 35er Apo-Summicron hier noch einmal deutlich absetzen würde.

Richtig spannend wird es wenn man die Objektive mal wechselt. Ich habe mein 50er Summilux mit dem 85er von Sony verglichen. Durch die Wahl des Abstandes habe ich versucht vergleichbare Ausschnitte abzubilden – wieder keine Bildverarbeitung und nur auf 2.500 Pixel skaliert.

Sony
Leica

Der Fokus wurde auf das abgeschnittene Gebüsch im Vordergrund gelegt. Und jetzt schaut euch mal diese plastische Wirkung der Leica an – für mich liegen hier Welten zur Sony. Blickt man auf den Gartenschlauch im Hintergrund, so sieht man wie cremig das Bokeh des Summilux ist und wie stark die Sony Kanten betont und das Bokeh dadurch unruhig wirken lässt. Ähnliches ist bei den Sträuchern im Hintergrund zu beobachten. Zudem überrascht mich die Farbgebung der Leica – die Farben knallen deutlich mehr (für mich aber durchaus positiv).

Was kann man also zusammenfassend sagen:

  • Ohne jeden Zweifel beeindrucken die Auflösung von 61 MP der Sony. Die Details die sich damit generieren lassen, sind schon fast abartig. Die Sinnfrage nach den 61 MP darf aber in jeden Fall gestellt werden.
  • Die Belichtungssteuerung der Sony arbeitet sehr gut, auch bei leichtem Gegenlicht saufen die Bilder nie stark ab. Habe mit den diversen Belichtungsmessmethoden, welche die Sony bietet aber nicht gespielt. Alle Bilder wurden mit dem „Multi-Modus“ gemacht, der die Messung über das gesamte Bildfeld durchführt. Bei Personenaufnahmen hätte ich mir einen stärkeren Eingriff der Kamerasoftware erwartet (um das Gesicht korrekter zu belichten) – hier ist sicher noch Potential nach oben.
  • Der Autofokus der Kamera ist ein echtes Highlight und definiert derzeit wohl den Standard bei solchen Kameras. Bewegte Ziele werden zuverlässig verfolgt, das Augentracking ist sensationell gut und nur bei statischen Szenen hatte ich das eine oder andere Problem auf den Bildteil zu fokussieren, der mir als Fotograf gerade wichtig war.
  • Das Bokeh des 35er und des 85er sind ansehlich und ausgewogen – beide Objektive kommen allerdings nicht an die Zeichnung eines Leica-Objektives heran. Gerade das Leica Summilux-m 50 mm trumpft hier auf und lässt die Muskeln spielen (fairerweise muss man auch sagen, dass das Leica-Objektiv ungefähr das 5-fache kostet).
  • Der Bildcharakter der Sony-Aufnahmen scheint etwas beliebig zu sein – was aber nicht schlecht ist. Schärfe, Bokeh und die technischen Möglichkeiten der Kamera (vor allem hinsichtlich des Autofokus) sind sicher herausragend und stellen die Speerspitze moderner Kameratechnik dar. Die 10 Jahre alte Leica kann hinsichtlich Dynamik nicht mithalten, trumpft aber beim Thema Schärfe und Bokeh mächtig auf. In Summe gefällt der Bildlook der Leica besser, als jener der Sony – zudem haben die Leica-Bilder einen gewissen Wiedererkennungswert.

Würde ich mir die Sony 7R IV kaufen? Die Antwort fällt leicht: Nein! Bevor ich zur Sony greifen würde, würde ich die vergleichbaren Leica-Produkte ansehen – vor allem die SL2 scheint hier deutlich näher an meiner Art zu fotografieren zu sein. Der Test hat mir wieder gezeigt, dass ich keine der technischen Spielereien vermisse. Autofokus wäre zwar manchmal nett, meistens komme ich aber ganz gut ohne aus. Und sollten meine Augen irgendwann zu schlecht für das manuelle Fokussieren durch den Messsucher werden, so steht mit der Leica Q eine adäquate Alternative zur Leica M bereit.

Und abschließend noch zwei schöne Reviews der Sony Alpha 7R IV:

Euer Alex